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Ernst Henkel

Ernst Henkel wird am 6. September 1887 im
nordrheinwestfälischen Barop, in der Nähe
von Dortmund geboren.
Die Evangelische Schule in Barop schließt er
mit der achten Klasse ab. Im Sommer 1902
tritt Ernst Henkel eine Ausbildung als »Büro-
lehrling« an.
Nach der Ausbildung arbeitet er zunächst als
Bürogehilfe.

Ab 1907 dient Ernst Henkel dann drei Jahre
dem kaiserlichen Militär, genauer bei der
Ostsee-Marinestation in Kiel. Mit 23 Jahren
ist er Torpedo-Obermatrose, das ist der zweit-
niedrigste Militärrang. Bei einem Bordunfall
bricht er sich den rechten Arm – Ernst Henkel
verletzt sich damals so schwer, dass er als
»dienstuntauglich« aus der Marine entlassen wird.

Auf den militärischen Staatsdienst folgt der zivile Staatsdienst und damit sein Gang nach Pritzwalk: Im Jahr 1911 nimmt Ernst Henkel eine Tätigkeit am Amtsgericht in Pritzwalk auf. Hier arbeitet er als Kanzleigehilfe, später als Kanzleibeamter. In Pritzwalk heiratet Ernst Henkel im Oktober 1912 auch die vier Jahre jüngere Alinde Lübke. Alinde stammt aus der Region, ihr Vater ist in Pritzwalk Dränierunternehmer. Aus der Ehe von Alinde und Ernst Henkel werden fünf Kinder hervorgehen.

Alinde und Ernst Henkel verbindet ihr politisches Interesse. Seit Anfang 1919 sind beide Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.

Alinde und Ernst Henkel verbindet ihr politisches Interesse. Seit Anfang 1919 sind beide Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Alinde Henkel engagiert sich in der Frauengruppe der Partei und in der Arbeiterwohlfahrt. Womöglich trug Alinde einen Anteil daran, dass ihr Ehemann mit der Sozialdemokratie in Berührung kommt. Denn den Stiefvater von Alinde war schon vorher Mitglied der Pritzwalker SPD-Gruppe. Wichtiger für den Wegvon Ernst Henkel zur Sozialdemokratie sind aber vermutlich seine Erfahrungen im 1. Weltkrieg. Das kaiserliche Militär hatte ihn für rückwärtige Dienste erneut zur Ostsee-Marinestation in Kiel eingezogen. Hier wird er im November 1918 Augenzeuge des Kieler Matrosenaufstandes, der sich gegen den Krieg richtet und der sich zum Auftakt für das Ende des Kaiserreiches und zum Auftakt für die Gründung der Weimarer Republik entwickelt.

Ernst Henkel in der hinteren Reihe der zweite von rechts, mit einem Arm auf dem Stuhl abstützend

Im Frühjahr 1919 wird Ernst Henkel erstmals in die Pritzwalker Stadtverordnetenversammlung und dort zum Ratsherrn in den Magistrat gewählt.

Zur gleichen Zeit wird er auch Ostprignitzer Kreistagsabgeordneter und Kreisausschussmitglied. Eine gewisse regionale Bekanntheit erlangt Henkel aufgrund seines rhetorischen Geschicks und wegen seiner Aktionen – gegen die Mitglieder der nationalkonservativen Kampftruppe »Stahlhelm« und gegen die nationalsozialistischen Schlägertrupps der SA.
Im Jahr 1920 wird Ernst Henkel aus dem Justizdienst entlassen. Ausschlaggebend für das Ende seiner Beamtenkarriere und den Verlust jeglicher wirtschaftlichen Ansprüche war möglicherweise sein Verhalten während des „Kapp-Putsches“ und seine Zugehörigkeit zu einem Streik-Komitee in Pritzwalk, dass gegen die nationalkonservative Militärintervention auftrat.

Ab August 1920 arbeitet Ernst Henkel dann als Gewerkschaftssekretär des Landarbeiterverbandes in der Ostprignitz. Hier engagiert er sich u.a. für die Durchsetzung des Tariflohns für Landarbeiter.

Seit dem Sommer 1924 gehört Ernst Henkel auch zum »Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold«, es ist der Wehrverband derjenigen Parteien, die auf der Seite der Weimarer Republik stehen. Auch der Mitte der 1920er Jahre in Pritzwalk gegründeten Kolonne des Arbeiter-Samariter-Bundes stand Ernst Henkel bis zu dessen nationalsozialistischer Gleichschaltung im Frühjahr 1933 vor.

Brandenburgisches Landeshauptarchiv
Flugblatt der NSDAP zur Reichstagswahl am 5. März 1933, Deutsches Historisches Museum

Die Amtseinführung des neu gewählten Pritzwalker Bürgermeisters Gerold Heyder findet am 24. März 1933 statt – drei Tage nach dem »Tag von Potsdam« und einen Tag nach der konstituierenden Reichstagssitzung in der Berliner Kroll-Oper sowie einen Tag nach der Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“, das Reichstag, Reichsrat und den
Reichspräsidenten zugunsten von Adolf Hitler ausschaltet. Schon im Vorfeld hat der neue Pritzwalker Bürgermeister Gerold Heyder klargestellt: »In meiner persönlichen Anschauung stehe ich auf der Rechten.« Die zehn NSDAP-Stadtverordneten erscheinen an jenem Abend in Uniform. Hinzukommen sechs Stadtverordnete der nationalkonservativen Einheitsfront »Schwarz-Weiß-Rot«. Die SPD hat eine schwere Wahlschlappe erlitten, ihre Fraktion stellt in der neuen Stadtverordnetenversammlung nur noch vier Mitglieder. Im Tagungsraum der Stadtverordneten prangen an jenem Abend die Symbole der Republikfeinde: die Hakenkreuzflagge, die schwarz-weiß-rote Reichsflagge und die schwarz-weiße Preußenfahne. Schon zur Sitzungseröffnung greift das Publikum den SPD-Stadtverordneten Ernst Henkel mit »Raus«-Rufen an. Später presst die Mehrheit von Nationalsozialisten und Nationalkonservativen die anstehenden Entscheidungen mit großer Geschwindigkeit durch die Pritzwalker Stadtverordnetenversammlung. Dem Vorhalt von Ernst Henkel, es fände eine »Vergewaltigung der Minderheit« statt, stellt der Stadtverordnetenvorsteher Otto Zemper das »Recht des Stärkeren« entgegen. Zemper, der auch NSDAP-Ortsgruppenführer ist, meint an jenem Abend auch: »Der Marxismus muss auch hier ausgerottet werden.«
Als Zemper die Sitzung mit »Sieg Heil«-Rufen und der ersten Strophe des »Deutschlandlieds« beenden will, verweigern sich die anwesenden Sozialdemokraten dem Ritual, das sich gegen die untergegangene Weimarer Republik richtet. Ein Großteil der Anwesenden grölt daraufhin in Richtung der vier SPD-Stadtverordneten: »Bonzen hoch!«.  Am gleichen Abend jener Stadtverordnetenversammlung am 24. März 1933 wird Ernst Henkel Opfer des nationalsozialistischen Straßenterrors. Ein Mob treibt ihn nach der Sitzung durch die Straßen von Pritzwalk. Nur knapp entgeht er dem Lynchmord. Schwer verletzt kommt Ernst Henkel ins Pritzwalker Krankenhaus. Noch in der gleichen Nacht wird er ins staatliche Polizeikrankenhaus nach Berlin gebracht. Wenige Tage später lässt der Ostprignitzer Landrat Ernst Henkel in Schutzhaft nehmen – als Grund dafür gilt, er ist „SPD- Funktionär“. Anfang April kommt Ernst Henkel ins Polizeigefängnis am Berliner Alexanderplatz, Mitte April ins Gefängnis Spandau. Am 12. Mai wird Ernst Henkel ins Konzentrationslager Alt Daber bei Wittstock gebracht. 
Die SA unterhält das Lager seit Ende April 1933 auf dem Gelände einer früheren Lungenheilanstalt. In Alt Daber misshandeln ihn SA-Leute auf Schwerste. Wiederholt
verprügeln sie ihn bis zur Ohnmacht. Sein Körper ist von Wunden gezeichnet, Zähne werden ihm ausgeschlagen. Eingesperrt ist Ernst Henkel in einem kleinen, kalten Kellerraum mit Feldbett und Tisch. In den Verhören soll er u.a. Auskunft zu erfundenen Waffenlagern geben.

Während es für Ernst Henkel in Alt Daber ums nackte Überleben geht, verhöhnen ihn die Nationalsozialisten gegenüber der Öffentlichkeit. Wegen seiner Einkerkerung kann Henkel trotz Wiederwahl sein Mandat als Kreistagsabgeordneter nicht antreten. Eine Regionalzeitung schreibt daraufhin im April 1933: »Die letzten Reste des roten Maulheldentums sind verschwunden. Es gab eine Zeit, da erklärte einer derselben, er würde im Nachthemd kommen, wenn die Vertreter der NSDAP im braunen Hemd wieder erscheinen würden. Er ist aber nicht erschienen. Der Henkel geht solang zum Wasser, bis er bricht.« Den Vorsitzenden der Pritzwalker Stadtverordnetenversammlung und NSDAP-Ortsgruppenleiter Otto Zemper zitiert eine Tageszeitung im Juni 1933 zum Mandatsentzug der sozialdemokratischen Stadtverordneten so: »Nur der Verzicht des sozialdemokratischen Oberbonzen und Genossen Henkel, der zur Zeit seinen ›Urlaub‹ in Alt Daber verbringt, steht noch aus. Es ist aber kein Zweifel darüber, dass der rote Maulheld nie wieder den Stadtverordnetensitzungssaal betreten wird.« 

Als der Preußische Regierungspräsident die Auflösung des Konzentrationslagers Alt Daber anweist, wird Ernst Henkel am 10. Juli 1933 ins Konzentrationslager nach Oranienburg gebracht. Von hier schreibt er seiner Ehefrau Alinde über die zurückliegenden Torturen: »Ich werde versuchen, mich durchzuschlagen. Wenn du mich auch augenblicklich kaum wiedererkennen wirst. Denn an meinem andern Zeug habe ich erst selbst gemerkt, wie ich in dem Krankenhaus bei der schweren Krankheit abgenommen habe. Das Zeug hängt mir nur so am Leibe.« Länger als ein Jahr bleibt Ernst Henkel im Konzentrationslager Oranienburg interniert – ohne Strafverfahren und ohne Gerichtsprozess.

Nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager ist Ernst Henkel nicht frei. Mit Verweis auf zentrale Regelungen ordnet der Ostprignitzer Landrat gegenüber dem Bürgermeister und dem Postamt in Pritzwalk die Beschlagnahme sämtlicher Postsendungen an Henkel an. Überhaupt unterliegt er in der Folgezeit der Überwachung durch die Pritzwalker Polizei und die Geheime Staatspolizei. Völlig unklar scheint die wirtschaftliche Existenz von Ernst Henkel und damit die Existenz seiner gesamten Familie. Überhaupt ist von seiner Verfolgung auch das persönliche Umfeld von Ernst Henkel betroffen. Dazu gehören zuallererst die Ehefrau Alinde und die gemeinsamen Kinder. Zwei Söhne von ihnen müssen im Zweiten Weltkrieg zum Fronteinsatz. Einer von beiden, Hasso, schreibt im November 1943 aus der Sowjetunion, von schwersten Kämpfen »ganz vorne bei der Infanterie«.


Der Familie in Pritzwalk schreibt er: »Diesen Brief schreibe ich in einem Erdloch unter freiem Himmel, ein Loch 50 mal 50 Zentimeter, notdürftig in die Erde gekratzt, um etwas Schutz gegen Bomben und Artillerie zu haben. Aussehen tuen wir wie die Schweine, unrasiert, ungewaschen und übernächtigt.« Wenige Monate später erging an seine Eltern die Nachricht, Hasso werde nach Kämpfen auf der Halbinsel Krim vermisst. Das Schreiben erreicht Alinde Henkel am 18. Juni, einen Tag nach der Beerdigung ihres Ehemannes. Ernst Henkel starb am Abend des 12. Juni im Pritzwalker Krankenhaus. Als Todesursache vermerkt ein städtischer Beamter »Oberkieferkrebsgeschwülst, Krebsaussaat, Herz- und Kreislaufschwäche«. Unklar bleibt der unmittelbare Zusammenhang der Todesursache mit der politischen Verfolgung von Ernst Henkel.

Alinde Henkel schreibt später einmal, die Todesursache resultiere womöglich aus den zurückliegenden Misshandlungen. Der ihn behandelnde Hausarzt vermerkt im Sommer 1947: „Der frühere Gewerkschaftssekretär (…) verstarb (…) an den Folgen eines Gaumenkrebses (…). Bei seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager erzählte Herr Henkel mir (…) von seinen dort durchgemachten, schweren Misshandlungen. (…) Ein ursächlicher Zusammenhang dieser Verletzungen am Oberkiefer mit dem später zu Tage getretenen Gaumen- und Oberkieferkrebs liegt sehr wohl im Bereich der Möglichkeit.“


Quellenangabe: Text von Sebastian Stude, Bildmaterial aus dem Archiv Dr. Peter Henkel
Unterstützt von: https://www.politische-bildung-brandenburg.de/ https://www.hiko-sozialdemokratie-brandenburg.de/ https://dietz-verlag.de/isbn/9783801205966/Sozialdemokratie-in-Brandenburg-1868-ndash1933-Lebenswege-zwischen-Aufbruch-Aufstieg-und-Abgrund